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Kissenparade für Oma Gertrud

Kissenparade für Oma Gertrud

Um es vorweg zu nehmen: ich hatte eine tolle Kindheit, wirklich. Im Nachhinein betrachtet, gibt es nur wenige Dinge, die mir als eher unerfreulich in Erinnerung geblieben sind. Den Weiße-Bohnen-Eintopf, den es regelmäßig gab (und den ich bis heute nicht esse), meine Handarbeitslehrerin in der 4.Klasse, den Sportunterricht in ALLEN Klassenstufen (nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich konnte Radfahren, im Wasser nicht untergehen, Rollschuh- und Schlittschuhlaufen, auf Bäume klettern und war ein passabler Indianer, aber alles, worauf es Noten gab, konnte ich leider nicht) und die Ferien bei Oma Gertrud.


 

Oma Gertrud war die Mutter meines Vaters, und während meine Großeltern mütterlicherseits Ausflüge in den Zoo mit mir machten, mir ab und zu ein Eis spendierten und mich auch mal ins Kino einluden, bestand das Unterhaltungsprogramm bei Oma Gertrud darin, zu lernen, wie man Silber putzt, Kartoffeln rund schält, gerade bei Tisch sitzt, gepflegte Konversation an ebensolchem betreibt und vor allem, wie man stickt.

Das Haus Oma Gertruds war voll mit Stickbildern, wobei „Bilder“ nicht ganz zutreffend ist, denn meistens bestickte sie Kissenbezüge. Und fast immer stickte sie Sprüche. Sinnsprüche waren neben Kissen ihre große Leidenschaft, und man wurde damit konfrontiert, wohin man auch blickte. Auf dem Sofa wetteiferte „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ mit „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“ und „Trautes Heim, Glück allein“. „Geben ist seliger denn nehmen“ hing gerahmt über dem Esstisch, „Ein jeder Tag hat seine Plage“ schmückte die Wand neben der Spüle, „Eigner Herd ist Goldes wert“ jene neben dem Herd. Auf dem riesigen Bett (das ich mit ihr teilen musste) lag das „Wie man sich bettet, so liegt man“-Zierkissen gleich neben „Morgenstund hat Gold im Mund“. Und weil sie an all diese Sprüche auch glaubte, begann der Tag bei Oma Gertrud ausgesprochen früh. Mit einem sparsamen Lächeln schaute ich da manches Mal aus den Federn und dachte, das kann doch nicht "recht und billig" sein ?

Ich versuchte Jahr für Jahr, mich um den 10-tägigen Aufenthalt bei Oma Gertrud zu drücken. Erfolglos. Die Sommerferien waren zu lang, meine Eltern mussten arbeiten, und nach einer gemeinsamen Woche an der Nordsee, 2 Wochen bei den Großeltern und weiteren 2 Wochen, die ich zuhause verbringen durfte, weil meine Eltern beide getrennt eine Woche Urlaub nehmen konnten, blieben stets die 10 Tage übrig.

Mit 6 bekam ich den ersten Stickrahmen von ihr. Da es um meine Schreibkünste noch nicht allzu gut bestellt war, durfte ich einen Hund sticken. Mit 7 zwei Kätzchen. Mit 8 hoffte ich darauf, dass es diesmal ein Pferd wäre, aber Oma Gertrud hatte schon eine hässliche Gebirgslandschaft ausgewählt.

Als ich 9 war, fand sie, ich sei nun alt genug für den ersten Sinnspruch. Da ich das befürchtet hatte, erschien ich in jenem Jahr entsprechend vorbereitet. „Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ hatte ich ausgesucht und sogar schon einen Entwurf gemacht, wie ich den Spruch mit Nadel und Faden umsetzen wollte. Blöd nur, dass Oma Gertrud andere Pläne hatte. „Ohne Fleiß kein Preis“ sollte es sein, würde ich den Spruch gut hinkriegen, dürfte ich auch noch „das mit dem Pferd“ sticken. Von diesem Jahr an fuhr ich noch weniger gern zu Oma Gertrud.

Erwähnte ich schon, dass ich Sticken hasse (es hat Gründe, warum ich die Handarbeitslehrerin in der 4. Klasse nicht mochte, dreimal dürfen Sie raten, was damals das Thema war....)? Und auch gegen Zierkissen hegte ich stets eine gewisse Aversion. Mein Haus, so hatte ich mir schon als Kind geschworen, bliebe frei von derlei Firlefanz. Das klappte jahrzehntelang wunderbar. Bis ich Kinder bekam.

Keine Ahnung, ob da einige Gene einfach ein paar Generationen übersprungen hatten oder ob es daran liegt, dass meinen Kindern nie zugemutet wurde, die Ferien bei jemandem wie Oma Gertrud zu verbringen, auf jeden Fall lieben alle drei Kissen. Sie können gar nicht genug davon bekommen.

Am Ende der Kindergartenzeit fing es an, als meine ältere Tochter sah, dass ihre damalige Lieblingsfigur Emily Erdbeer auf Kissen erhältlich war, gehörte ein solches Kissen zu den sehnlichsten Geburtstagswünschen. Die zwei Jahre jüngere Schwester hatte andere Vorlieben.

Der ältere Bruder hatte bis dato mit Kissen eigentlich nichts am Hut, las aber zu der Zeit besonders gerne Bücher mit dem Mäuserich Geronimo Stilton als Helden, also standen auch hier bald Kissen auf dem Wunschzettel.

 

Die Kinder wurden älter, die Favoriten wechselten. Unser Sohn mutierte zur Super-Spinne. Nicht jedermanns Geschmack, aber unzweifelhaft cool.

 

Seine jüngere Schwester schwankte zwischen Tim und Struppi und den WINX. Emily Erdbeer hatte natürlich weiterhin einen Ehrenplatz auf dem Bett.

 

Es war dann aber unsere Kleinste, die bei mir einen Knoten platzen ließ. Denn ihre neue Liebe waren die Fillys. Ja, sie waren bunt, und, ja, außerdem ganz furchtbar kitschig, aber: Viele davon sind sind Ponys.

Und auf einmal konnte ich mir eingestehen: Ich hätte als Kind die Fillys geliebt, und ganz bestimmt hätte ich alles haben wollen, was es diesbezüglich gab, um mein Kinderzimmer zu schmücken. Auch und besonders das Kissen.

Eigentlich hatte ich gar nichts gegen Kissen. Ich hatte nur etwas gegen bestickte Exemplare, und zwar ganz besonders gegen solche, auf denen „Ohne Fleiß kein Preis“ steht. Denn natürlich hatten die 10 Tage in jenem Sommer, als ich 9 Jahre alt war, nicht für beide Projekte gereicht. Kissenbezug Nummer 2 zieren ganz oben am Rand die einsamen Worte „Alles Glück“.

Sie werden lachen: ich habe den Bezug aufgehoben, warum auch immer. Ich werde ihn nie fertigstellen, denn Sticken verabscheue ich nach wie vor.

Vielleicht soll er mich daran erinnern, dass es nicht richtig ist, jemandem die eigenen Werte aufzuzwingen. Denn manchmal vergessen Eltern das. Und Großeltern vermutlich auch.

Oma Gertrud, bei Dir hatte jeder Tag seine Plage, bei uns hat jede Zeit ihre Helden. Und ich glaube, der letzte in der Reihe hätte Dir sogar gefallen, denn er ist ein weiser Krieger. Der nur manchmal etwas eigentümlich spricht. Er würde mir folgendes raten: „Abschließen mit der Vergangenheit, Du musst“

Nun, ich glaube, das habe ich getan. Auf meinem Sofa liegen jetzt Kissen.


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